6 Thesen zu den Europa- und Kommunalwahlen 2024

Versuch einer Wahlanalyse
von Elmar Sing
1.  Europawahlen 2024 – Rechtsruck & Linksruck

Der mittel- und südeuropäische „Rechtsruck“ bei der Europawahl im Juni 2024 war für uns nicht überraschend, sondern Anlass uns im Januar 2024 als „Männer für Demokratie“ zu gründen.

Überraschend war für uns vielmehr der erfreuliche „Linksruck“ in den nordeuropäischen Ländern und die 15,9 % der AfD nach ihrem Spitzenwert von 22% im Januar 2024.

Wahlen und damit die Demokratie in Europa funktionieren (noch).
 
2.  Kommunalwahlen BW 2024 – Personen- & Systemvertrauen

Es ist unvernünftig zu glauben, dass Wahlentscheidungen von der Mehrheit vernünftig getroffen werden.
Es sind vielmehr die positiven und negativen Gefühle gegenüber Personen und Parteien im Moment der Wahlentscheidung per Brief oder an der Wahlurne.

Diese Gefühlsentscheidung wird maßgeblich durch Alltagserfahrungen im sozialen Umfeld (Präsenz der AfD auf ostdeutschen Marktplätzen als Kümmerer), in den Echokammern mit Gleichgesinnten in den (a)sozialen Medien und der aktuellen Befriedigung der persönlichen Sicherheitsbedürfnisse aufgrund der Lebenslage beeinflusst.

In Zeiten multipler Krisen dominieren dagegen Ängste, die Politik als Aushandlungsprozess über verschiedene Gefühle erfordert, oftmals verunmöglichen.

Die vermeintlich einfachen Lösungen und Sicherheitsversprechen der Populisten gewinnen an Attraktivität. Sie beschädigen die Demokratie sowie adäquates lösungsorientiertes Denken und Handeln im Geiste der Aufklärung.
 
3.  Passive & aktive Parteienverdrossenheit – Aktive Überparteilichkeit

Die oft schon diagnostizierte „passive“ Parteienverdrossenheit wird üblicherweise an der Wahlbeteiligung festgemacht. Diese stieg deutschlandweit bei der Europawahl erfreulich von 61,4% (2019) auf 64,8% (2024); in Tübingen sogar auf 71,8% – ebenso wiederum die Briefwahl.
Die Steigerung der Wahlbeteiligung war unser erklärtes kurzfristiges Ziel für die Europawahl als „Männer für Demokratie“.

Überraschender war die „aktive“ Parteienverdrossenheit, also die Abwanderung der Ex-Wählenden von den Parteien zu den Nichtwählenden, der schweigenden Mehrheit als Sammelbecken der Frustrierten.

So wundert es nicht, dass die Betonung unserer aktiven „Überparteilichkeit“ auf dem Aktionsstand am 01. Juni 24 auf großes Wohlwollen stieß. Wir müssen im Dialog bleiben mit der schweigenden Mehrheit und damit ein Beispiel für außerparlamentarische, demokratische Selbstwirksamkeit für uns und andere sein.
 
4.  Wahlverhalten der Jugend – Männern & Frauen

Die Jugend wählt nicht mehr automatisch grün, da sie von der grünen Partei in Regierungsverantwortung und der damit verbundenen Koalitions- Kompromissfähigkeit enttäuscht ist.

 Viele Entscheidungen sind notwendige ökologische und trotzdem nicht ausreichende Zumutungen, die als grüne Bevormundung von der Mehrheit empfunden wird und die Partei zum Hassobjekt macht.

Die bekannten Zukunftssorgen der Jugend werden relativiert oder weitgehend ausgeblendet und stattdessen von Kleinparteien griffig aufgegriffen (Volt: „Für mehr Eis“ – Deine Stimme für echte Klimapolitik gegen die Erderwärmung).

Insbesondere junge Männer sind anfällig für rechtsextreme, antidemokratische Parolen verbunden mit Testosteron gefärbten Männlichkeitsbildern („Echte Männer“).
Wir sollten unsere Söhne und Freunde unserer Töchter sowie deren Schulkameraden nicht vergessen bei unserem Engagement und Gelegenheiten zu offenen Gesprächen zu Zukunftsfragen und demokratischen Antworten.
 
5.  Reduktion der Komplexität – Gefühle machen Politik

Es ist unvernünftig zu glauben, dass Wahlentscheidungen von der Mehrheit vernünftig getroffen werden.
Es sind vielmehr die positiven und negativen Gefühle gegenüber Personen und Parteien im Moment der Wahlentscheidung per Brief oder an der Wahlurne.

Diese Gefühlsentscheidung wird maßgeblich durch Alltagserfahrungen im sozialen Umfeld (Präsenz der AfD auf ostdeutschen Marktplätzen als Kümmerer), in den Echokammern mit Gleichgesinnten in den (a)sozialen Medien und der aktuellen Befriedigung der persönlichen Sicherheitsbedürfnisse aufgrund der Lebenslage beeinflusst.

In Zeiten multipler Krisen dominieren dagegen Ängste, die Politik als Aushandlungsprozess über verschiedene Gefühle erfordert, oftmals verunmöglichen.

Die vermeintlich einfachen Lösungen und Sicherheitsversprechen der Populisten gewinnen an Attraktivität. Sie beschädigen die Demokratie sowie adäquates lösungsorientiertes Denken und Handeln im Geiste der Aufklärung.
 
6.  Positive und negative Reaktanz – jetzt erst recht(s)

Politisches Engagement entsteht oft als Reaktanz auf eine tatsächliche oder vermeintliche Bedrohung des eigenen Demokratieverständnisses, das sich meistens um die Grundwerte „Freiheit“, „Gleichheit“, „Brüderlichkeit“ (Solidarität) rankt.

Wird die freiheitlich-demokratische Grundordnung bedroht, kann ein Wechselspiel „positiver“ und „negativer Reaktanzen“ entstehen, die sich gegenseitig verstärken.

Das gilt insbesondere für Aktivitäten von uns westdeutschen „Männer für Demokratie“ in ostdeutschen Bundesländern, bei denen Landtagswahlen im September 2024 anstehen.

Sinnvoller erscheint ein Aktionsstand mit Passantendialog im Vorfeld des „Tags der deutschen Einheit“ (03.10.2024) beispielsweise am 28.09.24 in Mannheim, der symbolisch für uns als „Tag der Demokratie“ verstanden wird. Wir schaffen so unseren Beitrag zur „demokratischen Einheit“ durch verbindende, offene Gespräche in einer zunehmend gespaltenen Gesellschaft.


Infoblatt der Veranstaltung am 01.06.2024 - Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit